Ein düsterer, faszinierender und spannender Dystopieauftakt.
Titel: Scythe - Hüter des Todes (1)
Autor: Neal Shusterman
Übersetzer: Pauline Kurbasik & Kristin Lutze
Verlag: S. Fischer / Sauerländer
Ausgabe: Hardcover
Seiten: 528
ISBN: 978-3-7373-5506-3
Preis: 19,99 €
Quelle des Covers: S. Fischer Verlag
Die Menschheit hat die Unsterblichkeit, unendliches Wissen und Wohlstand für alle erreicht. Man könnte denken, dass dies die perfekte Welt ist. Es gibt keine Politiker oder Staatsoberhäupter mehr und die Menschen werden von einer künstlichen Intelligenz mit dem Namen "Thunderhead" geführt. Und obwohl alle Krankheiten und auch der Tod besiegt und keine Kriege um Ressourcen mehr notwendig sind, muss die Bevölkerungszahl im Auge behalten werden.
Dafür wurde das Scythetum ins Leben gerufen und die Scythe kümmern sich um die natürliche "Nachlese" der Menschen. Nur sie entscheiden, wer leben und wer sterben darf. Dabei sollen sie gütig sein, Reue empfinden und während dem Töten unerträgliches Leid von dem jeweiligen Menschen nehmen. Würden sie dies bei der Nachlese nicht berücksichtigen, wären sie Monster.
In dieser scheinbar heilen Welt leben Citra Terranova und Rowan Damisch. Beide werden von dem Scythe Faraday zu Lehrlingen ausgewählt, um ein Scythe zu werden. Aber nur einer von beiden wird mit einem Ring belohnt. Beiden ist von Anfang an klar, dass sie diesen Job eigentlich nicht tun wollen, doch tief in ihrem Inneren steckt mehr als sie ahnen. So lernen sie während ihrer Ausbildung verschiedene Arten des Tötens kennen und verbessern so die "Kunst des Nachlesens".
Durch eine unerwartete Wendung, müssen Citra und Rowan die restliche Ausbildung getrennt voneinander beenden. Dabei wissen beide schon jetzt, dass sie mit der Ordinierung zum Scythe den jeweils anderen Nachlesen müssen. Während Citra mit Scythe Curie eine freundliche Ausbilderin bekommt, ergeht es Rowan schlechter. Dieser muss zu Scythe Goddard und seinen drei Junior-Scythes, die mittels Massentötungen, ihre Nachlese betreiben.
Wird es Rowan gelingen seine Menschlichkeit zu bewahren oder verfällt er dem Irrglauben von Scythe Goddard?
Ich war sehr gespannt auf die neue Trilogie von Neal Shusterman und hatte große Erwartungen an Scythe - Hüter des Todes. Diese wurden auch zu großen Teilen erfüllt und doch habe ich einen kleinen Kritikpunkt.
Der Einstieg gelang mir ohne große Probleme und der Schreibstil nahm mich sofort gefangen. Die einzelnen Kapitel enden jeweils mit einem Auszug aus einem Nachlese-Tagebuch von Scythe Curie. Zunächst wusste ich damit nichts anzufangen, doch im weiteren Verlauf erfährt der Leser, wie es zur Unsterblichkeit der Menschheit und der Entstehung der Scythe gekommen ist. Diese Art der Rückblende oder Erklärung hat mir gefallen und es störte auch nicht meinen Lesefluss. Viel mehr ergänzte es die jeweiligen Kapitel mit zusätzlichen Informationen. Zwar ist die Geschichte flüssig und zügig zu lesen, doch wirkte sie in ihrer Erzählweise eher ruhig. Hier hätte ich mir des Öfteren einen höheren Spannungsanteil gewünscht. Die beschriebene Welt ist düster und zugleich faszinierend und gerade die dahinter steckende Botschaft gefällt mir und ist jederzeit erkennbar.
Citra lebt gemeinsam mit ihrem kleineren Bruder Ben bei ihren Eltern in einem Mehrfamilienhaus. Beide Eltern sind berufstätig und lieben ihre Kinder über alles. Citra hat mir sehr gut gefallen, sie ist klar in ihren Gedanken, hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und trägt das Herz am rechten Fleck. Sie überlegt, bevor sie etwas sagt oder tut. Ihre Beweggründe für die Ausbildung zur Scythe konnte ich absolut nachvollziehen.
Rowan ist ein Salatblatt. So nennt er sich selbst, da er der mittlere Sohn in seiner Familie ist und von niemandem groß beachtet wird. Als er vor die Entscheidung gestellt wird, die Ausbildung anzutreten, fällt ihm diese nicht wirklich schwer. Auch wenn sein Leben nicht von Liebe und Zuneigung geprägt ist, wie bei Citra, ist er kein schlechter Mensch. Auch er empfindet Reue, Mitgefühl und doch spürt er etwas in seinem Inneren, was an die Oberfläche drängt. Seine Art, mit den Dingen umzugehen, mochte ich. Er zieht zum größten Teil die richtigen Schlüsse und handelt entsprechend. Seine Entwicklung war toll zu lesen und ich "lupfe" meinen imaginären Hut vor seinen Handlungen.
Obwohl sich Citra und Rowan respektieren, mögen und zueinander hingezogen fühlen, wissen beide, dass ein gemeinsames Leben niemals möglich sein kann. Die hier angedeutete Liebesgeschichte empfand ich als glaubwürdig und ich bin froh, dass diese nicht weiter vertieft wurde. Denn in meinen Augen hätte es nicht zur Geschichte gepasst.
Der Aufbau und die Struktur innerhalb des Scythetums ist von Neid, Missgunst, Größenwahn und Mordlust durchzogen. Eigentlich alles Eigenschaften, die längst hinter der Menschheit liegen sollten. Während ihrer Ausbildung bei Faraday/Curie sowie Goddard lernen Citra und Rowan die verschiedenen Facetten eines Menschen kennen. Sind Faraday und Curie eher freundlich und bestimmend, ja sogar fordernd, muss Rowan durch eine viel härtere Schule bei Scythe Goddard gehen. Dieser ist herablassend, anmaßend und den Herrlichkeiten des Reichtums nicht abgeneigt. Darüber hinaus ist er der Meinung über den Menschen zu stehen - gottähnlich - und führt sich als Richter & Henker in einer Person auf. Wenn es nach ihm ginge, gebe es keine Quoten über das Nachlesen der Menschen...
Ab dem Zeitpunkt der getrennten Ausbildung von Citra und Rowan nimmt die Geschichte an Spannung und Dramatik zu, was mich noch mehr antrieb weiterzulesen. Ebenso traten verschiedene Wendungen ein, die ich so nicht erahnte und die mir gut gefallen haben. Das Ende ist genial gelöst und ich bin schon sehr gespannt, wie es weitergehen wird.
Ein gelungener Auftakt der neuen Trilogie von Neal Shusterman. Scythe - Hüter des Todes besticht durch eine düstere und zu großen Teilen auch spannende Story mit einer sehr tollen Botschaft. Die behandelten Themen, wie Armut, Wohlstand, Unsterblichkeit und das Streben nach Vollkommenheit gepaart mit der allgegenwärtigen Angst vor dem Tod, macht diese Geschichte zu etwas Besonderem.
Durch die tollen und vielschichtigen Charaktere schafft es der Autor hier eine gute Abbildung von uns Menschen zu kreieren, mit all unseren Facetten, Fehlern, aber auch Wünschen und Träumen.